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Die Müngstener Brücke

Der Mensch denkt bekanntlich gerne in Superlativen: Höher, Größer, Weiter. Derjenige, der auch im Bergischen derartige Superlative finden möchte, wird auf der ersten Blick enttäuscht werden. Doch an einer kleinen Nebenbahn, abseits der großen Magistralen kann er fündig werden. An der Kursbuchstrecke 458 befindet sich nämlich Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke, die "Thalrücke bei Müngsten".

Mitte des vorletzten Jahrhunderts blühte die Stahlindustrie in den beiden bergischen Städte Remscheid und Solingen auf. Erst mit Hilfe der Wasserkraft und später mit Kohle, die aus dem Ruhrgebiet stammte, wurden beispielsweise Schneidwaren, Maschinen oder Röhren hergestellt. Gleitzeitig wuchsen auch die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Nachbarstädte an. Zum Transport größerer Gütermengen stand nur die Eisenbahn zur Verfügung. Diese benutzte zwischen den beiden Städte die Verbindung über Barmen / Elberfeld (heute Wuppertal) und Gruiten. Somit ergab sich ein Umweg von etwa 44 Kilometern. Ein direkte Verbindung zwischen den beiden Städten bestand nur in einer schmalen, steilen Straße; eine direkte Eisenbahnverbindung gab es nicht. Mit steigendem Transportaufkommen wurde eine direkte Eisenbahnverbindung aber immer wichtiger. Die beiden Städte liegen rund 8 Kilometer auseinander und sind durch das etwa 100 Meter tiefe Tal der Wupper getrennt. Die Planungen für einen direkte Verbindung Remscheids mit Solingen gestalteten sich also äußerst schwierig.
Die ersten Schritte zum Bau einer Direktverbindung sind aller Wahrscheinlichkeit nach von Remscheid ausgegangen. Dort war ein guter Bahnanschluss aus zwei Gründen wichtig: zum einen sollte die Handelsbeziehung Remscheid/Solingen gestärkt werden. Zum anderen benötigte man für den Export seiner Eisenwaren einen Verbindung zum Rhein. Für Solingen würde eine Direktverbindung nur den Handel mit Remscheid fördern, eine Verbesserung des Exports währe nur unwesentlich. 1882 wurden erstmals ernsthafte Forderungen nach einer Direktverbindung seitens der Stadt Remscheid gestellt. Das zuständige Ministerium für öffentliche Arbeiten in Berlin lehnte dieses Gesuch unter Hinweis auf die extrem aufwendigen Brückenbauten ab. Nach dieser Ablehnung entstand der Plan, eine Bahn von Remscheid Haddenbach durch das Morsbachtal bis Müngsten zu bauen und dort im Tal der Wupper stromaufwärts zu gelangen. Im weiteren Verlauf wollte man über Clauberg Solingen erreichen. Dieser Plan kam jedoch nie über das Stadium einer Idee hinaus. Stattdessen wurde eine neue Initiative seitens der Remscheider Handelskammern gestartet, das schließlich Erfolg hatte. "[…] am 2.1.1889 erteilte er [Anm D.D: der Minister für öffentliche Arbeiten] der Kgl. Eisenbahn-Direktion in Elberfeld den Auftrag, 'mit den allgemeinen Vorarbeiten für eine auch zum Vollbetrieb geeignete Eisenbahn von Remscheid nach Solingen und von Ohligs nach Hilden' zu beginnen." (Berg, S. 10)
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Foto

Ein Sonderzug anläßlich des Brückenfestes 2005 auf dem Bauwerk.
Fotonr: 0510-45 Fotograf: D. Düppel
Weitere Informationen zu diesem Bild Dieses Bild liegt hier in einer größeren Version vor.
Die Königliche Eisenbahndirektion Elberfeld wurde vom Ministerium für öffentliche Arbeiten beauftragt, für die zu erstellende Brücke Entwürfe einzureichen. Das Ministerium favorisierte eine Gerüstpfeilerbrücke, die aus technischer Sicht relativ einfach zu erstellen war. Die Eisenbahndirektion besaß aber schon zu der damaligen Zeit einigen Weitblick und bemerkte, dass sich ein derart großes Bauwerk negativ auf den Gesamteindruck des Tales auswirken wird. Daher solle eine möglichst filigrane Konstruktion gewählt werden. Die Direktion schlug aufgrund dieser Überlegungen eine Auslegerbrücke vor. Das Ministerium lehnte diesen Entwurf ab, da die Ausführung zu problematisch erschien. Der Minister in Berlin zeigte sich jedoch Gesprächsbereit und forderte die Direktion auf, drei weitere Entwürfe vorzulegen: einer als Gerüst, einer als Ausleger und einer als Bogenbrücke mit jeweils zwei Gleisen. Da sich die wuppertaler Beamten mit dieser Aufgabe überfordert sahen (vgl. Berg, 28), wurde die Brücke an die vier größten deutschen Brückenhersteller ausgeschrieben. An der Ausschreibung nahmen Teil:
- Aktiengesellschaft für Eisenindustrie und Brückenbau vorm. J.C. Harkort, später DEMAG (Duisburg)
- Gutehoffnungshütte (Oberhausen)
- Maschinenbau-Actiengesellschaft Nürnberg (M.A.N), später Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg und
- Union (Dortmund)
Die Firmen konnten frei aus den drei Brückentypen wählen und mussten eine Angebot unterbreiten. Dabei hatte der Auftraggeber verschiedene Vorgaben gemacht. Für die Gerüst und die Auslegerbrücke hatte man jeweils einen Entwurf vorgegeben, der von den Firmen zu bemessen war. Für die Bogenbrücke hatte man keine Vorgaben gemacht. Zusätzlich wurden etliche Vorschriften zur Bemessung und Konstruktion gegeben. Die Aktiengesellschaft aus Nürnberg (M.A.N) hatte eine Bogenbrücke vorgeschlagen. Die Konkurrenz aus Duisburg (J.C. Harkort) hatte sich für eine Auslegerbrücke entscheiden und die Gutehoffnungshütte hatte schließlich ein Angebot aufgrund einer Gerüstbrücke abgegeben. Die Firma Union zog sich nach längerem Zögern aus dem Vorhaben zurück. Anscheinend war das Projekt für die Dortmunder Firma zu umfangreich. Etwa zeitgleich mit dem Ausstieg von Union bewarb sich die ebenfalls aus Dortmund stammende Firma Klönne um den Auftrag. Diese Firma schien beim Wuppertaler Auftragebern durchaus bekannt gewesen zu sein, man traute ein Projekt diesen Ausmaßes der Firma jedoch nicht zu.
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Da die Nürnberger rund 500 000 Mark günstiger waren als die Konkurrenz, erhielt M.A.N den Zuschlag zum Bau der angebotenen Bogenbrücke. Zusätzlich hatte die Direktion in Elberfeld großes Vertrauen in die Firma: "'Der Ruf und die Leistungsfähigkeit der Firma [M.A.N] dürfte volle Gewähr dafür bieten, dass die in Rede stehenden Arbeiten in sachgemäßer Weise zur Ausführung kommen.'" (Berg, S. 33)
Zuvor jedoch musst der Standort der Brücke festgelegt werden. Dieser orientierte sich einerseits an einer geeigneten Stelle im Tal der Wupper und an der Trassierung der anschließenden Strecke. Die Oberkante der Talflanke des Wuppertales liegt etwa auf 200 Meter über NN. Der Bahnhof Remscheid, der heutige "Hauptbahnhof", liegt auf 303,37 m ü NN. Auf ca. 8 Kilometern Luftlinie müssen
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Solingen-Schaberg

© D. Düppel
Blick Richtung Remscheid.
rund 100 Meter Höhendifferenz überwunden werden. Das Kunststück lag bei der Trassenplanung darin, zwischen der Wupper und dem Remscheider Hauptbahnhof eine Trasse mit möglichst geringer Neigung zu planen und andererseits eine Stelle im Tal der Wupper zu finden, das möglichst gut zu Queren ist und einen ausreichend guten Baugrund zur Gründung der Brückenpfeiler bietet. Diese beiden Fixpunkte müssen sich dann überdies auch noch möglichst günstig miteinander verbinden lassen. Eine gute Stelle wurde schließlich in der Nähe der Ortslage Müngsten (zu Solingen) gefunden. Dort konnte auf etwa 107 Metern über dem Tagrund auf 488 Meter die Wupper gequert werden. Die Strecke von dort bis nach Remscheid blieb unter der maximal für Schnellzugbetrieb zulässigen Längsneigung von 1:60.

Der damalige Konstrukteur Anton Rieppel war Federführend für den M.A.N Entwurf verantwortlich. Dort hatte man eine Bogenbrücke mit eingespannten Stahlfachwerkbogen mit aufgeständerter Fahrbahn sowie beiderseits des Bogens anschließenden Gerüstbrücken entworfen. Die Gerüstbrücke ruht neben dem Bogen auch auf insgesamt sechs Pfeilern, von denen zwei auf den Ankern des Schubbogens gründen. Sowohl der Bogen als auch die Pfeiler verjüngen sich nach oben hin. Der Bogen und alle Gerüstpfeiler werden von einem Gerüstträger überspannt, der die Gleise aufnimmt. An den Enden des Gerüstträgers sind an beiden Talflanken gemauerte Lager, die zugleich den Anschluss an die weitere Strecke darstellen. Die Stützweite der Gerüstbrücken sind unterschiedlich groß. Auf der Remscheider Seite befinden sich zwei Felder mit je 45 m Stützweite und ein Feld mit 30 m Stützweite. Dabei besitzt das zur Talflanke gelegenen Feld die geringste Weite. Auf der Solinger Seite beträgt die Stützweite zwischen dem Bogen und dem ersten Pfeiler 45 Meter und die zwischen den beiden weiteren Brückenfeldern je 30 Meter.
Alle Pfeiler besitzen eine Längsbreite von 15 Metern, so dass sich eine Länge der Stahlkonstruktion auf Höhe des Gerüstträgers (Fahrbahnträger) von 465 Metern ergibt. Diese Maß setzt sich aus einer Länger der Remscheider Seite von 150 Metern, der Länge des Bogens von 180 Metern (äußerste Stützweite) und der Länge der Solinger Seite von 135 Metern zusammen. Die Längswände der Gerüstpfeiler und die des Bogens verjüngen sich nach Oben. In alle übrigen Richtungen sind lotrechte Wände vorhanden.
Die beiden kleinsten äußeren Pfeiler dienen als Ankerstützen, die die in Brückenlängsrichtung wirkenden Kräfte ableiten sollen. Dazu ist der Obergurt des Fahrbahnträgers jeweils mit den Ankerstützen fest verbunden. Der selbe Anschluss wurde auch zwischen dem Bogenscheitel und dem Obergurt gewählt, so dass auch der Schubbogen Längskräfte ableitet. Die von M.A.N erstellten Planungen boten verschiedene Vorteile gegenüber den anderen Entwürfen. Zum einem war es die besser Landschaftsverträglichkeit der Bogenbrücke. Aus diesem Grunde hatte sich die Eisenbahndirektion Elberfeld für diese Variante beim Minister für öffentliche Arbeiten in Berlin stark gemacht. A. Rieppel fasst in seinen Ausführungen "Die Thalbrücke bei Müngsten" die weiteren Vorteile folgendermaßen zusammen: Es wurden "[…] rasch ausser der schon von vornherein erkannten Überlegenheiten des Bogens mit Flächenlagerung für die Montage auch der geringe Materialverbrauch festgestellt" (A. Rieppel, S 27)
Sowohl die Planung als auch der Bau der Brücke liefen in enger Abstimmung zwischen der Bauherrin, der Kgl. Eisenbahndirktion Elberfeld, und der M.A.N ab. Auf Seiten der Direktion war der Regierungsbaumeister Carstanjen für den Bau verantwortlich. Carstanjen war nicht nur für die Überwachung der Planungen verantwortlich sondern hatte auch einen gewissen Einfluss auf die Konstruktion. Im Jahre 1895 wechselte er schließlich zur M.A.N.
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Für die damaligen Verhältnisse war der Bau eines derart großen Bauwerkes technisches Neuland, dass mit Risiken behaftet war. Besonders die neuartige Art der Montage sorgte für Aufsehen.
Zuerst sollten die Gerüstpfeiler mit Hilfe hölzernen Stützgerüste montiert werden. Dazu wurden in den Pfeilern hölzerne Kerngerüste errichtet, die um zwei bis drei Gefache höher waren, als die Eisenkonstruktion. Mit Hilfe einer Winde auf der Spitze der Hilfsgerüste wurden die Pfeilersegmente emporgezogen. Dabei mussten die Pfeiler immer beidseitig belastet werden, oder, wenn dies nicht möglich war, abgestützt werden, da die Kerngerüste im Vergleich zu aufwendigeren Mantelgerüsten sehr instabil waren. Die am Boden vormontierten Gerüstbrücken wurden an den Pfeilern von mindestens zwei Kränen nach oben gezogen und auf die Pfeiler gesetzt. Dazu waren ebenfalls Hilfskonstruktionen notwendig.
Der schwierigste Teil der Arbeit war die Montage des Schubbogens. Da aufgrund der Höhe des Bogens kein Hilfsgerüst aufgebaut werden konnte, musste der Bogen im freien Vorbau erstellt werden. Bevor dies möglich war, wurden erst alle Pfeiler gebaut und die Gerüstbrücken eingesetzt. Es musste nun also noch die 180 Meter breite Lücke des Bogens geschlossen werden.
Von den beiden Lagern des Bogens ausgehend wurde Bogensegment für Bogensegment in die Höhe gebaut. Auf den äußeren Enden der Gerüstbrücken waren Drehkräne postiert, die die Bogensegmente in an ihre Position hievten. Dabei wurde der freischwebende Bogen jeweils durch Stäbe an die schon errichteten Pfeiler angeschlossen, die den Bogen hielten. Die äußersten Ankerstützen, über die Last abgeleitet wurde (die Last des Bogens wurde in eine Längskraft umgewandelt) wurden durch je zwei Anker mit dem Fels verbunden. Am 21.03.1897 wurde der Bogenscheitel eingehoben. Mittels verschiedenen hydraulischer Pressen konnte die Spannung im Bogen so erzeugt werden, wie sie zuvor berechnet wurde. Dazu konnte u.a. der Bogen an seinen Auflagern gehoben oder gesenkt werden.

In rund drei Jahren hatte es die M.A.N geschafft, ein derart kompliziertes Bauwerk fertig zu stellen. Am 26.02.1894 wurde mit dem Bau begonnen, der am 15.07.1897 mit die Einweihung des Bauwerkes durch Prinz Friedrich Leopold von Preußen abgeschlossen werden konnte. Ende 1895 waren die Gerüstpfeiler fertig montiert, so dass danach mit dem Bau des Bogens begonnen werden konnte. Dieser wurde am 21.03.1897 geschlossen und am darauf folgendem Tag wurde Richtfest gefeiert.
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Solingen-Schaberg

© D. Düppel
Blick Richtung Westen auf die Brücke
Bereits vor Baubeginn wurde unterhalb der zukünftigen Brücke eine etwa 30 Meter hohe Behelfsbrücke errichtet, die den Materialtransport vereinfachtet. Fast das gesamte Baumaterial wurde über die schon vorhandenen Schienenverbindung über Solingen angefahren. In der Nähe des Solinger Brückenkopfes befand sich der Montage und Lagerplatz. Von diesem Platz führt eine eingleisige (im Bereich der Brücke zweigleisig) Feldbahn die Talflanke hinab über die Behelfsbrücke bis an die Remscheider Talseite. Die Behelfsbrücke diente der M.A.N zuvor bei der Montage der Hochbrücke über den Nord-Ost-See-Kanal bei Grünthal. Mit dieser Brücke konnten die meisten Arbeiten unabhängig von den damals noch häufig auftretenden Wupperhochwasssern ausgeführt werden. Bei dem Transport von Material auf die Remscheider Seite umging man durch die Behelfsbrücke zusätzlich den steilsten Teil des Talhanges.
Für den bereits erwähnten Lagerplatz wurde bei Scharberg ein ca. 200 mal 40 Meter großer Platz gerodet und begradigt. Die Fläche lag mit ca. 200 m ü. NN etwa auf Höhe der heutigen Gleise. Die schon vorhandenen Vollbahn endete auf diesem Gelände. Mit Hilfe mehrere Kräne konnten Materialien von der Vollbahn auf die Feldbahn umgeladen werden.
Wie bereits erwähnt, wurde am 22.03.1897 der Schlussniet eingeschlagen. Dieses Ereignis wurde durch einem Richtfest gewürdigt. Bevor die Brücke offizielle Eingeweiht werden konnte. mussten die obligatorischen Belastungsproben stattfinden.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, das der "Baumeister" der Brücke kurz vor oder nach der Vollendung des Bauwerkes (da sind sich die Gerücht nicht so einig ….), von der Brücke in die Tiefe gestützt haben soll. Angeblich sollen ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Berechnungen gekommen sein.
Der Ingenieur der Brücke war der damalige Chef der MAN, Anton Rieppel. Rieppel starb am 31. Januar 1926 in Nürnberg. Er hat sich also nicht von der Brücke gestürzt.

Ein anderes Gerücht, das sich ebenso hartnäckig hält, ist das vom goldenen Niet. Angeblich soll im Bereich des Bogens, als dieser geschlossen wurde, ein Niet aus purem Gold eingeschlagen wurden sein. Bei der großen Inspektion in den 60er Jahren fand sich jedoch kein derartiger Niet. Da Gold ein sehr weiches Material ist, kann bezweifelt werden, das ein solcher verarbeitet wurde. Vielmehr wurde beim Schluss des Bogens ein vergoldeter Niet in das Bauwerk eingeschlagen. Dieser Niet sitz in einer Gedenktafel, die heute von einem Blech verdeckt wird.


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