Der Unfall von Dahlerau
In einer Zeit, in den Gedanken an Not und Leid in die äußersten Ecken des Bewusstseins drängt, in einer Zeit, in den Gedanken an Tod und Sterben allenfalls in die Sterbezimmer von Krankenhäusern und Altersheimen verbannt, in einer Zeit, die, beflügelt durch Weltraumflugkörper, blind an den Fortschritt glaubt und alles für durch den Menschen machbar hält, hat das Schicksal in voller Größe und Wucht zugeschlagen und die Nichtigkeit alles Menschenwerkes wieder einmal offenbart. Prof. Dr. H. M. Oeftering - Präsident der Deutschen Bundesbahn, 1971* Bis am 03. Juni 1998 der ICE 884 'Wilhelm-Konrad Röntgen' in Eschede entgleiste und 101 Menschen in den Tod riss, hatte die KBS 403 (Wuppertal-Oberbarmen - Oberbrügge), damals als 229b geführt, die unrühmliche Ehre, die Strecke mit dem folgenschwersten Zugunglück auf dem Gebiet der ehem. Deutschen Bundesbahn nach dem 2. Weltkrieg zu sein. Am 27. Mai 1971 stieß bei Dahlerau der Schülersonderzug Eto 42 227 ( 795 375 + 995 325 ) mit dem Nahgüterzug (Ng) 16 856 ( 212 030 ) zusammen. Bei dem Frontalzusammenstoß starben 41 Schüler und zwei Lehrer der Radevormwalder Geschwister Scholl Hauptschule sowie eine Begleiterin und zwei Eisenbahner. Kurz nach 21 Uhr befuhr die Triebwageneinheit von W-Oberbarmen kommend den eingleisigen Abschnitt hinter dem Rangierbahnhof Rauenthal der KBS 229b. Der Sonderzug war am Morgen nach Bremen gefahren und kehrte nun aus der Hansestadt zurück. Gegen 21.08 h rollt der Nahgüterzug nach Wuppertal auf das haltzeigende Einfahrtssignal des Bahnhofs Dahlerau zu. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Verlauf der Ereignisse nachvollziehbar. Ab dem Zeitzpunkt, als der Ng das Signal passierte widersprechen sich die Aussagen der Beteiligten. Auf der überwiegend eingleisigen Nebenbahn besaßen viele Bahnhöfe, in denen Zugkreuzungen stattfinden konnten, keine Ausfahrtssignale. Planmäßig wurde daher der Betrieb auf der Strecke folgendermaßen abgewickelt: Der Buchfahrtplan regelte in den Betreffenden Bahnhöfen das Vorgehen: Stand ein H in Spalte vier des Fahrplans, hatte der Zug im Bahnhof zu halten, sofern der örtliche Fahrdienstleiter keinen Abfahrts- der Durchfahrtsauftrag gegeben hatte. Sofern der Zug im Bahnhof also keinen Befehl erhielt, durfte der ihn nicht verlassen.
Der regelmäßig verkehrende Ng erhielt gewöhnlich einen Durchfahrtsauftrag, da zu dieser Zeit keine Zugkreuzung stattfinden musste. An diesem speziellen Abend sollte in Dahlerau jedoch die Zugkreuzung zwischen dem Nahgüterzug und dem Sonderzug stattfinden. Nachdem also der Güterzug vor dem haltzeigenden Einfahrtssignal des Bahnhofes gehalten hatte und der Triebfahrzeugführer durch einen Pfiff auf seinen Zug aufmerksamem gemacht hatte, gab der Fahrdienstleiter in Dahlerau die Einfahrt in den Bahnhof frei. Der Fahrdienstleiter trat aus dem Bahnhofsgebäude auf den Bahnsteig und gab dem Tf-Personal ein Signal, dessen Begriff später streitig war. Der Fdl will dem Zug ein Haltsignal gegeben haben, dass Üblichweise mit einer rot scheinenden Handlampe gegeben wurde. Das Lokpersonal erkannte ein Signal das sie für einen Durchfahrauftrag hielt und beschleunigte den Zug aus dem Bahnhof heraus auf die offene Strecke und fuhr dabei eine Einfahrtsweiche auf, die schon für den nahenden Sonderzug gestellt war. Der Fahrdienstleiter versucht, dem Zug hinter zu rennen, erreicht ihn aber nicht mehr. Da es keinen Zugfunk gab, telefoniert der verzweifelte Fdl. mit seinem Kollegen im fünf Kilometer entfernten Wpt Beyenburg, in der Hoffnung, der Sonderzug sein noch nicht durch und können noch aufgehalten werden; der Zug hatte Beyenburg aber schon passiert. Die Besatzungen der beiden Züge waren nicht mehr zu warnen. Der Fdl alarmierte sofort die Rettungskräfte aus Wuppertal. Währenddessen verschwindet der Güterzug hinter einer der zahlreichen und engen Kurven der Strecke - die Streckensicht beträgt oft nicht mehr als 100 Meter: Um 21.12 prallt der Güterzug hinter einer Kurve, 800 Meter von Dahlerau entfernt, frontal mit dem Motorwagen der Triebwageneinheit zusammen. Die 63 t schwere Lok klettert dabei auf den tiefliegenden Rahmen des leichten Triebwagens und staucht ihn auf etwa 1/3 seiner ursprünglichen Länge zusammen. Die Lok schiebt den Trümmerhaufen noch etwa 100 Meter vor sich her, bevor die verkeilten Fahrzeuge zum Stehen kommen. Kurz nach dem Unfall wurde Katastrophenalarm ausgelöst und Rettungskräfte aus Wuppertal, Remscheid und Solingen eilten zum Unglücksort. Da die Strecke im Tal der Wupper verläuft, war der Unglücksort schwer zugänglich. Der Abtransport der Verletzten zu an der nächsten Straße wartenden Krankenwagen gestaltete sich sehr schwierig. 46 der 71 Insassen fanden den Tod, 25 wurden zum Teil schwer verletzt. Fast ein kompletter Jahrgang der Hauptschule wurde bei diesem Unglück getötet. Dieses Unglück hatte die Ausmaß des Unglückes von Aitang (09.02.1971) und Rheinweiler (21.06.1971) bei weitem übertroffen. Zur Räumung der Unglücksstelle wurde ein Hilfszug aus Wpt. Vohwinkel nach Dahlerau beordert. Nach den Ermittlungen der Unglücksursache vor Ort wurden die Wrackteile der Schienenbusse am 01. September zur Verschrottung freigegeben. Die Maschine des Güterzuges trug nur leichte Schäden davon und wurde wieder aufgearbeitet. Die Ermittlungen zur Unglücksursache dauerten über ein Jahr an. Im Kern drehte sich alles um die Frage, warum der Gz in Dahlerau nicht angehalten hatte. Als Ergebnis stand später fest: Menschliches Versagen. In Frage kommen verschiedene Ursachen. Der Fdl hatte durch eine falsche Handbewegung mit seiner Signalkelle einen Durchfahrtsauftrag erteilt oder der Lokführer war unaufmerksam. Es kommen aber auch Gesichtspunkte wie schlechte Erkennbarkeit der Kelle in der Dämmerung usw. in Betracht. Während der Ermittlungen konnte nicht geklärt werden, warum der Fahrdienstleiter dem Zug ein Signal gegeben hatte. Wäre er nicht auf den Bahnsteig gegangen und hätte überhaupt kein Signal gegeben, wäre die Situation für das Lokpersonal klar gewesen: Kein Signal kann nicht mit einem Aus- oder Durchfahrtsauftrag verwechselt werden und hätte für den Bahnhof Dahlerau bedeutet: Halt im Bahnhof! Vermutlich war der Fdl wegen der ungewöhnlichen Zugkreuzung in Sorge, erhielt der Gz doch gewöhnlich einen Durchfahrtsauftrag. Sah er die Gefahr, dass das Lokpersonal aufgrund seiner Gewohnheit auch ohne Auftrag durch den Bahnhof fahren würde? Zu dem war auch unklar mit welchem Hilfsmittel der Fdl das zweifelhafte Signal gegeben hatte. Oft wurde der sogn. Befehlsstab verwendet, der durch verschiedene farbige Blenden verschiedene Lichtsignal geben konnte. Dieser Stab war sehr umstritten, konnte doch die Blende unbeabsichtigt beim Hantieren mit dem Stab verschoben werden und ein anderes als das beabsichtigte Lichtsignal geben. Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung verstarb der Fdl an den Folgen eines Autounfalls (nachweislich kein Selbstmord). Somit wurde die Hauptverhandlung nicht mehr aufgenommen. Hinzu kam, dass auch der Frage, ob der ausfahrende Güterzug eine Weiche in der Ausfahrt des Bf Dahlerau 'aufgefahren' hatte nicht mehr nachgegangen werden konnte, da das Störungszeichen fehlte, was auf eine Manipulation der Weiche vor oder nach dem Unglück hindeutet. Die beiden Personen auf dem Führerstand der Lok gaben an, der Fdl hätte ihnen mit einem grünen Kellensignal einen Durchfahrtsauftrag gegeben. Der Fahrdienstleiter beteuerte in ersten Vernehmungen, ein Haltesignal gegeben zu haben. Die Schuldfrage konnte nie geklärt werden. Für eine Kleinstadt wie Radevormwald hatte der Unfall schwerwiegende Konsequenzen: In zahlreichen Familien waren Opfer zu beklagen und sehr viele kannten Familien, die betroffen waren. Bundespräsident Gustav Heinemann und Bundeskanzler Willy Brandt kondolierten den Angehörigen der Opfer und der Stadt, in der fast der gesamte Abschlussjahrgang einer Schule beim folgenschwersten Zugunglück der Deutschen Bundsbahn umgekommen waren. Die besondere Schwere des Unfalls ist vor allem der Leichtbaukonstruktion des Schienenbusses zuzuschreiben. Der Rahmen, der fünfmal so schweren Lok im Vergleich zu einem Schienenbus der BR 798, war rund 20 cm höher. Durch diese Umstände sind die enormen Zerstörungen am Schienenbus erklärbar. Nach dem Unglück wurde die Einführung des Zugfunks forciert. Schon nach dem Unglück von Aitang, (09.01.1971) bei dem ein schweizerischer TEE-Triebzug in einer Kurve entgleiste, wurde über die flächendeckende Einführung von Telekommunikationstechniken im Bahnbetrieb nachgedacht. Wäre auf der Wuppertalbahn eine Zugfunkeinrichtung verfügbar gewesen, hätten die beiden Züge noch gewarnt und zum stillstand gebracht werden können, bevor es zum Zusammenstoß kam. Auch wenn im Nachhinein von menschlichem Versagen als Unglücksursache gesprochen wird, waren die technischen Umstände maßgeblich an der Katastrophe mit schuld. In Folge des Unfalls wurden die rote Blende aus den Befehlsstäben verboten und entfernt, um Verwechselungen und Fehldeutungen zu vermeiden. Beim Nachfolger der Schienenbusse, der Baureihe 627 und 628, wurde auf ein höheres Maß an Sicherheit geachtet und auf extreme Leichtbaukonstruktionen verzichtet. Nachdem Unfall wurde zusätzlich die Sicherungstechnik der Wuppertalbahn verbessert und u.a. zahlreiche Ausfahrtssignale aufgestellt. |
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